Taxifahrt

Am Montagmorgen verließen wir Santa Cruz in Richtung Samaipata. Dazu fuhren wir mit einem Stadttaxi zum Samaipata-Express-Stand, ein Langstreckensammeltaxiunternehmen (Was für ein Wort!) das hauptsächlich Gringos ins paradisische Samaipata bringt. Für 30 Bs pro Person für zweieinhalb-drei Stunden Fahrt (0,5 EUR pro 30 Minuten Taxifahrt!).

Doch nur wenige Kilometer weit gekommen kam die Fahrt zu einem Halt. Einige Autos drehten um, fuhren auf der falschen Seite der Mittelbegrenzung der vierspurigen Schnellstraße wieder zurück, andere fuhren neben der Straße in off-road-Manier langsam weiter um die nächste Kreuzung zu erreichen. Unser Fahrer  wählte die Variante, nachdem er einige hundert Meter wie beschrieben verkehrtherum zurückfuhr, an einer Kreuzung auf die Gegenfahrbahn zu wechseln um dort wieder auf der falschen Seite der Mittelbegrenzung die Fahrt fortzusetzen! Wieder einige hundert Meter weiter als wir auf der richtigen Straßenseite fahrend gekommen waren, sahen wir nun auch warum es dieses Chaos gab: Hier lagen brennende Bäume und Autoreifen auf der Straße. Kurz vor der Blockade bog der Fahrer von der Straße ab und versuchte mit Dutzenden anderen Autos die Straßenblockade zu umfahren. Nach einstündiger Suche über Straßen, die keine waren (gut dass das Gefährt in dem wir sassen ein allradgetriebener einigermaßen geländegängiger Minivan war) hatte er die Blockade umfahren, nur um festzustellen, dass noch in Sichtweite der ersten Blockade die zweite wartete. Auch hier begab sich unser Fahrer auf die Suche nach einer Umleitung, die er auch fand. Über eine improvisierte Rampe von der Straße runter, durch den Straßengraben bis kurz vor die Blockade und dann links ab in eine kleine, eigentlich blind vor der Schnellstraße endende Gasse. Beim Abbiegen in diese Gasse war der Mob, der die brennende Barrikade aufgebaut hatte, auf ein Auto aufmerksam geworden, welches sich von der anderen Richtung zu nah an die Blockade gewagt hatte und stürmten gerade dieses Auto, während der Fahrer noch versuchte zu wenden: Als das Auto aus unserem Blickfeld verschwand, waren gerade die Reifen zerstochen worden.

Mit einem sehr unguten Gefühl ließen wir unseren Fahrer gewähren, zu diesem Zeitpunkt war zurück zu fahren sicherlich keine bessere Option als weiter zu fahren. Die Informationen, die wir nur bruchteilhaft verstanden, trafen per Handy und kurzen Gesprächen mit anderen Verkehrsteilnehmern ein, schienen aber allesamt den Fahrer und seine Frau (die auf dem Beifahrersitz mit Kind mitfuhr) nicht zu beunruhigen. Eine Stadt, der wir uns näherten und durch die wir durchmussten sei komplett gesperrt, wohl hatten die Unruhen hier ihr Epizentrum. Als es dann tatsächlich nicht weiter ging hier, fuhren wir von der Straße ab, durch ein mehr oder minder trockenes Flussbett, blieben mehrfach beinah in Sand stecken, sahen einige Autos und sogar die hiesigen Linienbusse, wie sie feststeckten auf der Suche nach einer Umfahrung des Ortes. Hier war wenigstens keine politische Unruhe zu sehen, und ein festgefahrenes Auto würden vier Männer ja wohl wieder frei kriegen. Und nicht mal dies wurde nötig, es dauerte zwar alles eine halbe Ewigkeit, aber irgendwann trafen wir wieder auf die Hauptstraße, auf der entgegenkommende Verkehrsteilnehmer erzählten, es gäbe bis zu unserem Ziel nichts mehr besonderes. Wir legten ein unplanmäßigen Halt zum Mittagessen ein und fuhren dann in aller Seelenruhe weiter an unser Ziel.

Was diese Geschichte so bizarr und gespenstisch macht, ist auf der einen Seite die völlige Gelassenheit mit der unser Fahrer und seine Frau die Situation bewältigten und auf der anderen Seite die völlige Abwesenheit der Staatsmacht: an beiden brennenden Blockaden gab es keinen Polizisten, kein Militär, keinen Ordnungshüter. Nur eine Mob, der die Straße blockierte. Die zu umfahrende Stadt war tatsächlich durch polizeiliche Hütchen und ein am Straßenrand stehendes Polizeifahrzeug gesperrt, aber auch hier weit und breit keine Bereitschaftspolizei mit Demo-Ausrüstung, Wasserwerfern oder sonstigem, was man in Deutschland ja schon für ein paar Grüne in Stuttgart auffährt – und die würden zumindest von Feuern mit Gummireifen absehen.

Der Kommentar des Besitzers der „Finca“ in der wir in Samaipata ankamen: „Happens every week in Bolivia“, immer wolle irgendeine Stadt irgendeinen Bürgermeister oder Governor aus dem Amt treiben, dann blockieren sie halt die Straßen. Das dies nicht unserem Demokratieverständnis entspricht und damit dem Land auch mehr Schaden zugefügt wird, als durch den Wechsel irgendwelcher Regierungsbeamten verbessert werden kann, leuchtet dem Mob sicherlich nicht ein. Welche Rolle der Staat dabei spielt, ist uns noch unklar.

(Leider ist keiner von uns geborener Kriesengebietsfotograf, in der Aufregung des Moments kommt keiner von uns auf die Idee eine Kamera zu zücken.)

Dieser Beitrag wurde unter Bolivien, Reiseblog Eintrag, Süd Amerika veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.