Pushkar Camel Fair

20111107.103446.IMG_8880Auf dem Weg von Udaipur nach Jaipur waren wir bereits nah an Pushkar vorbei gefahren, mitten in der Nacht, schlafend. Hindurch fahren kann man mit dem Zug nicht, Ajmer heißt die nächste Stadt mit Bahnanbindung, und ausgerechnet zu dieser waren alle Züge restlos ausverkauft, so dass wir auf eine Busverbindung ausweichen mussten, drei Stunden Busfahrt mit Klimaanlage, die Füße in zentimeterhohem Dreck abgestellt, kostete gerade mal drei Euro pro Person… einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul. Und genau so sollten wir es auch handhaben auf dem zweiten Abschnitt der Strecke, von Ajmer nach Pushkar. Ein Bus war es, wie der mit dem wir bereits zwölf Stunden lang das Vergnügen hatten: eine Blechbüchse mit Sitzen. Nur war für Ben kein Sitz mehr übrig: der Bus öffnet die einzige Tür und es geht wortwörtlich das Drängen, Schubsen und sogar Hauen los, die alten Damen mit ihren scharfen Fingernägeln und Ellenbogen in den Rippen der Mittstreiter trauen sich einfach mehr uns setzten sich durch. Am Ende im Bus angekommen blieb Ben im Gang stehen, mit 18 Kilo Rucksack auf dem Rücken und ohne einen Zentimeter Spielraum. Gut, dass die Fahrt nur eine gute halbe Stunde dauerte.

Rajasthan, India

In Pushkar angekommen war nichts außergewöhnlich, bis auf die Tatsache, dass der Bus bei abgeriegelter Innenstadt nicht bis zum Busbahnhof kam und sämtliche Passagiere am Straßenrand rausschmiss. In der Stadt selbst herrschte (das gewohnte) Chaos. Dank Kristinas ausgezeichnetem visuellen Gedächtnis und Bens Orientierungssinn fanden wir unser Hostel ohne große Umwege, kamen aber trotzdem verschwitzt und entnervt an.

Leider wurde es bis auf ein paar Highlights in Pushkar nicht viel besser. Jedes mal, wenn man das Hostel verließ, begab man sich zwangsläufig in die Überfüllten und dennoch durch hupende und rasende Motorradfahrer terrorisierten Gassen, links und rechts unzählige Geschäfte mit aggressiven Verkäufern (“hey, you, where you from, have look, beautiful things, cheap cheap”) und fehlenden Restaurantoasen, in die man sich hätte flüchten können (eine fanden wir dann doch noch). Der heilige Pushkar See, zu dem an unserem letzten Tag angeblich bis zu 500.000 Menschen pilgern sollten, ist eine etwas groß geratene, von allen Seiten einbetonierte Kläranlage ohne Kläranlage. Der Kamelmarkt war etwas klein ausgefallen dieses Jahr, dafür stünden dieses Jahr mehr Pferde und Kühe zum Verkauf. Eigentlich ist der Kamelhandel anscheinend sowieso nur noch drittrangig, wichtiger sind Riesenräder und Karussellfahrten, Shows und unglaublich lauter Krach (Musik?) aus klirrenden Lautsprechern, wie wir sie noch von Plattenspielern der 20er Jahre kennen. Auch ohne Alkohol, denn der ist hier streng verboten, schafft es die Jugend den größten Schwachsinn zu begehen: am Straßenrand tätowiert ein Mann für 30 Rupien Schriftzüge auf Unterarme und Schultern, immer mit der gleichen Nadel. Und selbst das große Pilgerereignis erinnerte selbst zum Höhepunkt um fünf Uhr morgens eher an ein überfülltes Schwimmbad beim jährlichen Nachtschwimmtermin als an eine spirituelle Reinigung.

Der Stress mit den penetrantesten Einheimischen kann einen zur Weißglut treiben, während man nach außen hin die Ruhe selbst sein muss. Wenige echte und viele falsche “Holy-Men” sprechen die Touristen auf ihrem Weg zum See an und drücken ihnen Blüten in die Hand “throw in lake for good luck”. Nimmt man diese reflexartig an, kommt ein roter Farbklecks auf die Stirn dazu, es werden Guides oder Priester oder Beides-in-Einem aufgedrängt und horrende Summen gefordert, am Ende auch allein für die Blüten und Tikka. Lehnt man nicht von vorne herein entschieden genug ab, kriegt man den Farbklecks einfach an den Kopf gepappt und eine “Donation” wird gefordert. Lehnt man doch entschieden genug ab, wird man mit bösem Unterton angemacht “Respect culture man! Why you come to India? You want good life? Flower in lake and make wish! Take flower, now!”.

So wird die eigene Religion für den schnellen Profit banalisiert. Einem Ritual beizuwohnen, das für einen Ungläubigen keine Bedeutung haben kann, nimmt diesem Ritual einen erheblichen Teil seiner Heiligkeit, es banalisiert das Sakrale und untergräbt somit die Religion an sich; finden wir. Interessanterweise sieht dies ja auch die katholische Kirche so, ein Ungetaufter darf auch die Kommunion nicht empfangen. Desweiteren wären wir für eine Expertenmeinung dankbar: darf ein getaufter Christ sich überhaupt von einem hinduistischen Priester segnen lassen und Vishnu, Brama und Shiva die Treue geloben? Wir schätzen, es gibt da ein Gebot, welches dies verbietet, und doch werden ganze Reisebusse voller Europäer am Seesrand für gutes Geld dieser “indischen Erfahrung” zugeführt.

Das der Markt und das Pilgerfest überhaupt so abläuft, wie es das tut, ist natürlich etwas Erstaunen wert, doch bei all den erwähnten Unannehmlichkeiten schnell verflogen. Trotzdem verbleiben gute Erinnerungen an die geschmückten und ungeschmückten Kamele. Wenn man sie über die sandigen Wege gleiten sieht, versteht man, woher der Spitzname Wüstenschiff kommt. Und diese Füße, wer da nicht fasziniert hinschauen muss, wie sie sich auf dem Sand ausbreiten und das Gewicht so elegant auf eine große Fläche verteilen, dem ist nicht zu helfen. Durch einen netten Zufall trafen wir einen jungen Inder, bei dem schnell klar wurde, dass er uns nichts verkaufen wollte, und prompt lernten wir so unglaublich viel über die indische Kultur, über das Kastensystem, Indische (organisierte) Ehen, Lebenziele einer Generation und die Wege wie sich Tradition und moderne Wünsche vereinbaren lassen. Ein faszinierendes, stundenlanges Gespräch am Ufer des heiligesten aller Seen.

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