Angekommen in unserer zweiten bolivianischen Stadt, Sucre, waren wir nach kürzester Zeit Feuer und Flamme. Nur der Eindruck am Busbahnhof bei Ankuft war noch unbefriedigend, was wohl auch daran lag das wir am Abend anreisten, die Touristeninformation geschlossen hatte, keine Polizei ein gewisses Sicherheitsgefühl vermittelt hätte, und obendrein keine Taxis am Taxistand warteten.
Bolivia
Als erstes besuchten wir einige der lokalen Märkte, die von Einheimischen und deren traditionellen Tracht nur so wimmelten, was sich in der Tat als interessantes Erlebnis herausstellte. Hier wird alles verkauft und gekauft was man sich vorstellen kann und mehr, und zwar an kleinsten Ständen. Der eine verkauft Zigaretten: Marken und selbstgedrehte nebeneinander. Der andere Nägel, einzeln. Fäden, Stoffe und Kleidung an jeder Ecke. Lebensmittel ohne Verpackung, Fleisch von der Bauersfrau und nicht vom Metzger, Gewürze in Fingerspitzenmenge bis hin zu Industriesäcken. Früchte aufbereitet so dekorativ dass einem das Wasser im Mund zusammen läuft. Und natürlich Säcke voller Kokablätter. Obwohl der Weg vom Kokablatt zum Kokain ein langer ist und viele anderen Stoffe eine essentielle Rolle spielen, ist in weiten Teilen der Welt allein der Besitz des Blattes strafbar wie der Besitz von Kokain. In Bolivien wird das Blatt auf vielfache Weise weiterarbeitet und dabei kommt fast nie Kokain heraus (das kann Kolumbien besser), Kokatee ist sogar recht lecker.
Nach Kristinas Erlebnissen aus 2005 hatten wir uns in Sachen Essen auf unangenehmen Käse und Kartoffeln vorbereitet. Tatsächlich findet sich hier ein Restaurant nach dem anderen, welches, von einheimischer und internationaler Küche inspiriert, wunderbare Dinge zaubert, nur die Preise halten nicht mit: Kalbszunge auf Kartoffeln in scharfer Weinsauce, Hünchenbrust auf Amarettosauce, eine Boef-Stroganov-Variante mit feinsten Zutaten, Ceviche mit feiner Limonen-Sauce, jeweils für EUR 3,50 bis 5,50 als Hauptgericht zu haben. Der boliviansche Wein aus der Region Tarija hält nicht ganz mit den chilenischen und argentinischen Erzeugnissen mit, aber zu genießen ist so manch einer auch ganz gut. Vor- und Nachspeisen reihen sich ein, mehr als 10 EUR braucht man pro Person für ein richtig edles drei-Gänge Essen in schönem Ambiente nicht einzuplanen. Mit dem Wasser haben sie es hier nicht so, con gas ist nicht immer zu haben und schmecken tut es noch seltener, dafür gibt es in Bolivien mehr frischen Fruchtsaft als man sich vorstellen kann. Ein Glas frisch gepresster Organgensaft auf der Straße kostet 30 cent, ein Papaya-, Mango-, Chirimoya- oder Tumbo-(Passionsfrucht)saft für 80 Cent, ein ganzer zwei Liter-Krug für 2,30 EUR.
Die Faszination mit den Preisen ist so eine Sache, weil man sich ja als Europäer nicht benehmen möchte wie der Millionär im Aldi, nur ist dies kein Aldi, ganz im Gegenteil, die Qualiät der Waren bewegt sich auf höchstem Niveau und auch merkt man ganz klar, wie man in vielen Geschäften Wirtschaftsmotor ist.
Schwer mit anzusehen ist die Kinderarmut und Kinderarbeit (jede Diskussion, die wir per tagesschau.de oder faz.net mitbekommen, über ob nun 8,3 oder 16,2 % der Kinder in Deutschland je nach der gewählten Grenze für relative Armut, hierin leben, verblasst ein wenig angesichts der Bilder hier in Potolo und Maragua aber auch Sucre). Während auf dem Land die Kinder in armen Dörfern aufwachsen und nur der gelegentliche Guide und Tourist als wohlhabendere Menschen ihren Weg kreuzen, so laufen in Sucre viele Kinder durch die Straßen und versuchen Zeitungen oder Süßigkeiten zu verkaufen, wollen Schuhe putzen oder betteln einfach nur um den einen oder anderen Boliviano. Man will helfen, weiß aber nur zu gut, dass Geld in den seltesten Fällen Chancen hat langfristig zu wirken, im Gegenteil, oft fördert es nur die Kinderarbeit oder -bettelei und verhindert Schule und wirkliche Lösungen. So versuchen wir wenigstens den Kindern respektvoll nein zu sagen, was aber nach dem dritten Anbettelversuch des gleichen Kindes schwierig wird. Verkorkste Welt.
Sucre selbst hat Flair wie es vielen europäischen Städten gut tun würde. Viele enge Straßen, begrenzt von weißen Häusern aus der Kolonialzeit oder dieser nachempfunden. In den Straßen viele junge Menschen, auch dank der hiesigen Universitäten, unter anderem die älteste Universität Südamerikas, wo auch der Freiheitsgedanke Südamerikas entstanden ist. Und zu guter letzt noch die Wirkstätten der Universitätsabgänger und -Lehrer, zum Beispiel Simon Boliviar und Antonio Jose de Sucre um nur die zwei wichtigsten zu nennen.
So fühlen wir uns hier wohl, was aber nicht der Grund ist, warum wir noch immer hier sind. Ben hat es erneut mit irgendeinem Infekt erwischt, der Bauch samt Verdauung “stimmt nicht” (präzise eh?), subfebrile Temperaturen, Schwäche, usw. Langsam kommt Hotel-Zimmer-Krank-Sein-Koller auf.