Das Indien, welches wir erlebt haben, könnte man dramatisch als unsere Hass-Liebe bezeichnen. Das Reisen selbst ist nicht schwer und doch, macht das Land jeden Tag zur Herausforderung. Es ist eine unbequeme Mischung aus Armut, Wachstum, Religion, Dreck, Rücksichtslosigkeit, Desinteresse… und Überall der Gegensatz direkt im Anschluss.
Ein Großteil der Bevölkerung lebt in erschreckender Armut. Mahatma Gandhi sagte einst “Armut ist die schlimmste Form von Gewalt” und so fühlt es sich in der Tat an, als ob man zuschauen würde, wie ein Verprügelter erneut zu Boden gedrückt wird. Und dennoch, ist es unmöglich sich nicht aktiv abwenden zu müssen: Bettler, gerade Kranke und junge Kinder, ziehen am Hosenbein und sagen “Chapati” (Brot), und man weiß, wie man es tut, man macht es falsch. Gibt man ihnen den sprichwörtlichen Tropfen auf den heißen Stein, hält man sie auf der Straße und fern von echter Hilfe und Arbeit beziehungsweise Bildung; gibt man ihnen nichts, heißt dies ihr Leid zu missachten – sie zu missachten.
Den Weg aus der Armut sucht jeder für sich, viele bei den Touristen. An jeder Ecke wird man gleich drei mal angesprochen: Wasser, Rikscha, Hasch? Aber bei Angeboten machen sie nicht halt, es wird betrogen und belogen dass sich die Balken biegen. Überall wartet einer der, in Uniform oder ohne, offizielle Dinge verspricht die nicht einen Funken Wahrheit enthalten. Vor heiligen Orten und Ritualen machen sie keinen Halt, banalisieren ihre eigene Religion und die des Touristen für ein paar Hundert Rupien (!!!!!!!!!!LINK!!!!!!!!!!!!!).
Es sind nicht alle Inder arm, im Gegenteil, die Mittelklasse wächst und kauft LED-Fernseher und schicke Autos, die Reichen feiern mit Hunderten geladenen Gästen Feste, für die Europäische Jahresgehälter draufgehen. Und es ist genau dieser Fortschritt, der die jahrtausend alten Gesellschaftsstrukturen ad absurdum treibt.
Die durch den Hinduismus geformten Kasten scheinen die wirtschaftlichen Unterschiede zu rechtfertigen; die extreme Schere zwischen Habend und Nichthabend führt zur erwähnten Missachtung der Mitmenschen. Wer missachtet, nimmt auch keine Rücksicht und so zieht sich eine ausgeprägte Rücksichtslosigkeit durch den Alltag, die regelrecht wütend macht. Der Stärkere hat Vorrang, der Reiche tut was er will und der Arme nur das, was er nicht will. Männer belästigen Frauen, je weniger verhüllt umso mehr, die europäischen Touristinnen ohne einen Mann an der Seite ertragen Heftiges, gemessen an dem, was Krissi jeden Tag über sich ergehen lassen musste. An Kassen oder Eingängen wird vorgedrängelt, es wird geschubst und gezogen und die wenigsten sehen darin etwas Problematisches. Dienstleister, die eigentlich an ihrem Job hängen müssten, könnten nicht weniger Interesse an ihren Kunden zeigen, “unhöflich” fängt gar nicht an es zu beschreiben. Auf den Straßen machen LKWs was sie wollen, sie sind ja die Mächtigsten, und das Auto was vom LKW geschnitten wird, lässt es am nächsten Radfahrer aus. Fußgänger zählen nichts, sie werden einfach aus dem Weg gehupt, wenn sie nicht schnell genug weg sind, werden sie halt gestreift; ein angefahrenes Kind wird von der Mutter einfach wieder auf die Beine gestellt, und weiter geht’s. Blechschäden interessieren keinen, es wird nicht mal ausgestiegen um nachzuschauen, entsprechend sehen die Autos aus.
Und wie die Autos aussehen, so sieht die Umwelt aus. Der Müll liegt überall, selbst die heiligen Flüsse oder Seen sind unbeschreiblich verschmutzt (und es wird trotzdem drin gebadet), es wird überall hingerotzt, so dass die vom Kautabak rot gefärbte Spucke Häuserecken und die Seiten von Bussen rot gefärbt haben. Kühe, Hunde wie Menschen erledigen ihre Notdurft an jeder zweiten Straßenecke, es stink unbeschreiblich. Das fehlende Gefühl für Sauberkeit spiegelt sich auch in vielen Unterkünften wieder, Bettwäsche wird nur auf Nachfrage gewechselt, die Bäder werden nur mit einem Wasserstrahl abgespritzt, Seife und einen Lappen haben die meisten Toiletten, Duschen oder Waschbecken noch nie gesehen.
Und dann, zwischen den Betrügern und Tricksern strahlen Kinder die Touristen an, erfreuen sich selbst über das frisch gelernte Englisch (“Hello, good morning” um acht Uhr abends), ganze Familien bitten die weißen Touristen in das Familienfoto vor dem Taj Mahal und wollen interessiert wissen, wo kommt man her, wie lange ist man schon in Indien (schön ist es hier, oder?), was arbeitet man, spricht man auch Hindi? Kommt man ins Gespräch mit einen Inder, der einem nichts verkaufen möchte, ist er interessiert, zuvorkommend, höflich; tolle Menschen. Die Farben, die die Menschen tragen, die Farben der Gewürze und Pulver, die es überall zu kaufen gibt, hauen einen jeden Morgen von neuem um. Das Essen ist fast überall fantastisch, und wir kennen nur das Essen einiger weniger Regionen, es gibt so viel mehr zu entdecken in diesem riesigen Land.
Wir wollen viel mehr von Letzterem und nichts von dem zuvor erzähltem: da das nördliche Indien aber all dies ist und für uns leider mehr vom Unangenehmen, wird es wohl dauern, bis wir zurück kommen. Nach all dem was wir nur gehört haben, soll der Süden “fortschrittlicher” sein, um das herauszufinden reichte aber die Zeit leider nicht… eines Tages?
[Nachtrag: Nur um das klar zu stellen: wir bereuen es keineswegs nach Indien gereist zu sein und halten es für wichtig, im Rahmen einer Weltreise zumindest einen kurzen Einblick ins dieses Land zu kriegen; Sinnvoller wäre es sicherlich einen richtigen Einblick ins Land zu bekommen, um dann hoffentlich zu einem positiveren Schluss zu kommen als wir es konnten. Einen Erholungsurlaub kann man solange man Kultur erleben möchte, aber nicht erwarten.]