Nachdem die Entscheidung mit Educacion y Futuro die Valle de los Condores zu erkunden gefallen war, und die Tour inklusive drei Übernachtungen, eine im Dorf und zwei auf dem Berg, für lächerliche 1670 Bs gebucht war (circa 167 EUR), vergingen nur gut 24 Stunden bis wir pünktlich (!) um 17:00 Uhr von einem Taxi an unserem Hotel abgeholt wurden. Der nette aber stille Taxifahrer, der jede, aber auch wirklich jede Gelegenheit nutzte, um Fahrzeuge, Radfahrer, Fußgänger und Tiere auf das sich nähernde Taxi durch Hupen aufmerksam zu machen, brachte uns schnell und gefühlt sicher in das Dorf Rosilias.
Dort wird, unter anderem unter Anleitung von EdyFu, Milch zu Käse, Yoghurt, Butter, Liquor und Dulce de Leche (ein hierzulande sehr beliebter süßer Brotaufstrich aus Milchzucker bestehend) hergestellt, während die Bevölkerung bemächtigt wird wirtschaftlich langfristig auf eigenen Füßen zu stehen. Dies ist natürlich auch die Theorie hinter dem Tourismusangebot, eine einzigartige Landschaft mit Führern und umliegender Infrastruktur zu nutzen, um die Touristen nicht den Touranbietern in der Stadt zu überlassen ohne dass die Bevölkerung vor Ort auch davon profitiert. So etwas nennt sich dann “Nachhaltiger Tourismus” oder auch Ecotourism. Doch dazu nochmal später mehr.
Angekommen in Rosilias war es bereits dunkel, wir wurden noch mit einem netten Abendessen versorgt und uns dann in unserer sehr angenehmen Unterkunft selbst überlassen. Den Wecker auf 7:00 Uhr gestellt schliefen wir gut, um wohl ausgeruht den ersten Tag anzutreten, der mit einem Ambrosias traditionell beginnen sollte. Ein lokaler Alkohol, Singani, wurde mit viel Zucker und Zimt versetzt und dann – direkt aus der Kuh – mit Milch gemischt. Der Alkohol töte alle Bakterien, hieß es zu unseren skeptischen Blicken. Schmecken tat es gut, ein wenig wie lauwarm geschäumte Milch mit Schuss. Es folgte noch ein Frühstück, mit der besten Dulce de Leche, die wir je gegessen haben und selbstgemachten Cerialien.
Unseren Guide hatten wir zum Ambrosiastrunk kennen gelernt, Miguel, ein 50-jähriger echter Bolivianer mit mehr Zahnlücke als Zahn aber einem freundlichen Grinsen. Es war vorgesehen, dass der Guide alles bis auf die persönlichsten Dinge der Teilnehmer trägt, also nach deren Verständnis auch Zelt und Schlafsäcke. Dies hatten wir schon vorher abgelehnt und wollten beim Anblick des dünnen Mannes noch etwas von dem Essen übernehmen, was aber abgelehnt wurde. Vom Singani und dem üppigen Frühstuck gestärkt, ging es auf den Trail, heraus aus dem Dorf, ein Seitental hinein und hoch in die Berge. Der Weg, der nach kurzer Zeit seltenst als solcher zu erkennen war, wird nur unregelmäßig genutzt, von EdyFu für die Condor-Treks und von Bauern, um ihre wild grasenden Kühe zu finden. Die Steilwände an den Seiten des Tals schienen hunderte Meter senkrecht in den Himmel zu steigen und zeigten sich größtenteils nur spärlich bewachsen mit Langhalmgräsern, Farn und Kaktus, eine seltsame Mischung.
Von 2000 auf 2800 m, wieder 300 m herunter und bis 3100 m hoch ging es, mit immerhin mäßig schwerem Rucksack, was aber dank unserer längeren Akklimatisierung in Höhen bis 4900 m zumindest nicht wesentlich schlechter ging als fände das Ganze 1500 m tiefer statt. Nach Erreichen des ersten Passes lag ein riesiger Abgrund vor uns, mit scheinbar unpassierbaren Steilwänden, doch unser Guia zeigte ziemlich genau auf die gegenüberliegende Seite, fuchtelte in der Luft herum, während er durch die Zahnlücken zischte, und erklärte uns da ginge es nachher hoch. Wie wir überhaupt an den Ausgangspunkt für diesen Anstieg kommen sollten, war uns unklar, geschweige denn, wo es dort hochgehen sollte. Doch wie so häufig in den nächsten Tagen, fand Miguel seinen Weg, entlang haarsträubender Abgründe und hinauf unmögliche Steigungen inmitten urwaldähnlichem Gestrüpp. Angekommen standen wir auf einem Pass, der den Blick nicht nur ins Valle de los Condores in den Süden erlaubte, sondern auch ins Tal im Norden. Karg, zum größten Teil trocken und leblos, nur in den Schluchten, wo sich das wenige Wasser sammelt, entstehen kleine Urwälder. Der gelegentliche Condor aus der Ferne machte Hoffnung auf den nächsten Tag.
Am Zeltplatz angekommen bauten wir unter neidischen Fragen des Guides unser leichtes Zelt (MSR Hubba Hubba HP, 1,9 kg) auf, seines hatte ein anderer Guide unter einen Vorsprung nach einer vorherigen Tour in den Bergen belassen, 3,5 kg sind aber auch ein Wort. Ebenso kamen Töpfe und Geschirr aus einem Versteck, zumindest dies hatte der Guide nicht hochtragen müssen. So weit war alles organisiert.
Nicht organisiert war, zu unserem Entsetzen, die Trinkwasserversorgung. Wir hatten aus eigenem Antrieb heraus den Tag mit 2 L pro Person in unseren Hydration-Sacks begonnen und noch eine Wasserflasche an einem Wasserfall befüllt. Die Wasserflaschen waren noch voll, doch die 2 L deutlich reduziert, und auch wenn unser Guide 4 L dabei hatte, so gab es hier oben nur Wasser aus einem Wasserloch, also stehendes Wasser, welches Kühe und Ziegen als Trinkwasser nutzen – und die sind bekanntlich nicht so penibel bei der Einhaltung des Trinkwasser-Abwasser-Fäkalien-Abstands wie erfahrene Camper. Aus einem Land wo Hygiene oft ein Fremdwort ist, sah dies unser Guide auch nicht so eng. Also planten wir, gossen um, rationierten und planten noch etwas mehr. Dank unseres SteriPens (Behandlung von optisch sauberen Wasser mit UV-Licht, sehr effektiv) trauten wir uns auch nach doppelter Behandlung des Wassers, dies als Trinkwasser zu nutzen, aber wir hätten uns unseren Filter als zusätzliche Methode herbei gewünscht. Leider ist dies eines unserer Kritikpunkte an EdyFu und der Tour: unabhängig von den Hygienestandards vor Ort, kann man, weder ahnungslosen Ersttrekkern noch erschrockenen Outdoorlern, unsicheres Trinkwasser anbieten.
Das Wasser, welches Miquel dort geholt hatte, nutzte er in erster Linie zum Kochen, was den ersten Kritikpunkt relativiert, aber auch nur weil wir bezüglich des reinem Trinkwasser so selbstständig waren. Doch eins wurde uns auf 3300 m auch noch klar, einen Herd sah die Tour nicht vor, es wurde gekocht auf einer Feuerstelle, für die das wenige Feuerholz herhalten musste, welches angesichts weniger hüfthoher Sträucher zu finden war. Nicht nur irgendwelche Greenpeace-Aktivisten fragen sich da, ob man dies tatsächlich “nachhaltig” nennen kann, denn hier wird schneller verbrannt als nachwachsen kann und dem trockenen Land das wenige Kompostmaterial geklaut. Ein Benzin- oder Gaskocher ist da die wesentlich anerkanntere Methode.
Um 7:00 Uhr von Wecker und Sonne simultan geweckt, nach einer erstaunlich milden Nacht, begegneten wir dem Tag mit Freude und packten das Innenleben unseres Zeltes zusammen, nur um nach dem Frühstück zu erfahren, dass wir am gleichen Platz eine weitere Nacht verbringen würden, da der andere Zeltplatz (gar) kein Wasser und kein Brennholz hätte. Also machten wir uns von unserem Lager auf die Condore von Nahem zu sehen, was sich aber angesichts einer dichten Wolkendecke im Tal, entsprechend niedrigeren Temperaturen dort und somit fehlenden thermischen Winden, bei den flugfaulen Condoren schwierig wurde. Condore gleiten fast ausschließlich in der Thermik, die Flügel schlagen sie nur ungern. Später sahen wir doch noch zwei Condore nur wenige Meter von uns entfernt entlang gleiten, wiederholt ließen sie sich an den 800 m hohen Steilwänden vom (leichten) Aufwind tragen, ein toller Anblick, wenn diese Giganten der Lüfte mit 3 m Spannweite an einem vorbeigleiten. Sonst war der Tag leider etwas langweilig und angesichts 1000 Fragen des Guides zu den Kosten unserer Ausrüstung, der Kameras und des Reisens, die uns angesichts der himmelweiten Kaufkraftunterschiede meist peinlich waren, auch etwas unangenehm.
Am Lager angekommen kochte Miguel Mittag und eine knappe Stunde später Abend. Das Essen war stets sehr gut, das fertig mitgebrachte exzellent, am ersten Tag ein Omlett mit einer Spinatvariante und Reis zum Mittag, abends Nudeln in Hackfleischsauce; nun am zweiten Tag folgten Hünchen und eine Nudelsuppe, wie gesagt im Stundentakt. Nur wunderten wir uns über die wenig kräfteschonende Speiseplanung, wir trekken mit dehydriertem und nicht mit einem vorgekochten Hühnchen. Aber lecker war’s.
Die Abende verbrachten wir, vom Einbruch der Dunkelheit um 18:00 Uhr bis man sich ins Zelt traute ohne unhöflich zu wirken, um 20:00 Uhr, mit unserem Guide am Lagerfeuer, gegenseitig nicht alles verstehend, was die andere Partei zu einem Thema beizutragen hatte, wobei nicht nur unsere fehlenden Spanischkenntnisse ein Problem waren (Krissi versteht mittlerweile so viel, dies ist, dank Harry Potter auf Spanisch im eBook, schier unglaublich). Das Genuschel des Guides, während er versuchte nicht nur eine Backentasche, sondern auch sämtliche Zahnlücken, mit Cocablättern zu füllen, war zeitweilig limitierend für unser Verständnis. Ob die 600 ml Wasserflasche, die mit Singani gefüllt war und aus dem Miguel recht häufig ein Schluck nahm, auch zum Nuscheln beigetragen hat, können wir nicht beurteilen, zur Redefreudigkeit des sonst eher schweigsamen Bolivianers aber sicher.
Der letzte Tag, nach einer bitterkalten Nacht, in der wir von einer Wolkenwelle nach der anderen überrollt wurden, begann mit einem Abstieg über einen Weg, der wirklich keiner war und Passagen beinhaltete, die in Europa ohne Klettersteigsicherung sicherlich nicht denkbar wären. Nach haarsträubenden 45 Minuten, an 500 m tiefen Schluchten vorbei, die sich nur Zentimeter von den Fußtritten entfernt auftaten, gelangten wir in wegbareres Gelände, kurz bevor wir mal unschuldig nachfragen wollten, wie lange dies noch so gehen würde. Und ja, dies war der Weg, wo andere Trekker solche Angst gehabt hätten, und über die Miguel stolz erzählte, wo sein Rucksack eines Males unfreiwillig den direkten Weg nach unten fand.
Zurück in Rosilias erhielten wir noch ein leckeres Mittagessen und hatten die Gelegenheit uns bei der Köchin zu bedanken, die so viel des Essens auf dem Berg vorbereitet hatte. Wir verabschiedeten uns von Edyfu nicht ohne im Sonnenschein den wunderbaren Hof in Augenschein zu nehmen, den die wohltätige Organisation, die ihre Wurzeln in Hilfe für Straßenkinder in Tarija hat, vor einigen Jahren gekauft hat. Hier darf man als Gast auch länger bleiben und mehr über die Arbeit vor Ort erfahren und sich dabei daran erfreuen, dass der Profit zugunsten der Straßenkinder geht.
Insgesamt verließen wir, wie wir gekommen waren, mit Taxi, die Condore, EdyFu und Rosilias mit gemischten Gefühlen, ein tolles Erlebnis mit Ecken und Kanten, aber so ist schließlich (fast) alles im Leben.